Die Installation
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Die Installation

»Pallaksch, Pallaksch!«
Die Hölderlin-Installation von Ottmar Hörl

Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770–1843) zählt zu den bedeutendsten deutschen Dichtern. Auf Nachfrage ist er den meisten Menschen, wenn überhaupt, aber nur ein vager Begriff, erinnert aus dem Deutschunterricht. Einen Zugang finden wenige. Hölderlins Sprachkunst, der hymnische Klang befremdet. Schon Goethe und Schiller hatten Probleme damit. Wissenschaftler und Philosophen, aber auch Komponisten von Brahms bis Nono sind dagegen fasziniert und inspiriert. Dem Schauspieler Heinz Bennent ist Hölderlin „Nahrung für die Seele. Ein Prophet.“ Was hat uns Hölderlin im 21. Jahrhundert noch zu sagen?

Diese Frage mit einem einzigartigen Kunstprojekt in den Raum zu stellen und zugleich der Person Hölderlin im Jubiläumsjahr verstärkte visuelle Präsenz zu verleihen, ist Anliegen der Initiative von Art 28 in Kooperation mit der Universitätsstadt Tübingen. So konnte der renommierte deutsche Konzeptkünstler Ottmar Hörl dafür gewonnen werden, Hölderlin im wahrsten Sinn des Wortes „be-greifbar“ und sichtbar zu machen. Ottmar Hörl, emeritierter Professor und früherer Präsident der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, ist bekannt für seine Skulpturen-Installationen und radikalen Konzepte. Er hat die herausragenden Leistungen zahlreicher Persönlichkeiten durch zeitgemäße, identifi kationsfördernde Installationen nachhaltig vergegenwärtigt und unübersehbar in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt – von Goethe in Frankfurt a. M., Rückert in Schweinfurt, Brecht in Augsburg bis Fontane in Neuruppin. Längst sind Hörls Skulpturen Kult und im kollektiven Gedächtnis angekommen.

Insgesamt installiert werden etwa 250 serielle, je 66 cm hohe Figuren, in den monochromen Farbtönen Gold, Schwarz, Nacht-blau und Opalgrün, und zwar vor der Stiftskirche, die in Bezug zu Hölderlins Tübinger Studienzeit (1788 – 1793) steht, als er auf Augenhöhe mit den Freunden Hegel und Schelling diskutierte und philosophierte, sowie entlang der Neckarmauer zum Hölderlinturm, in dem der Dichter, aus der Zwangseinweisung der Klinik als „unheilbar“ entlassen, von Ernst Zimmer aufgenommen dann die zweite Hälfte seines Lebens (1807 – 1843) verbracht hat. Das Konzept für den Farbklang hat Hörl der Person und dem Anlass entsprechend gewählt. So erobern die seriellen „Hölderline“ den Stadtraum Tübingens und verwandeln diesen in temporäre Kunst-Schau-Plätze.

„Zu allererst ist Hölderlins 250. Geburtstag natürlich ein Anlass, den Dichter zu feiern und Menschen Lust und Freude zu machen, Hölderlins Werk erstmals oder auch aufs Neue zu entdecken. Dabei geht es aber nicht um ein klassisches Denkmal, vielmehr um ein „Denk mal!“ (nach) – also eine Arbeit, die Impulse setzt, die als ein Kommunikationsmodell funktioniert, zum Diskurs einlädt und Menschen miteinander ins Gespräch bringt. Über das serielle Reihungssystem entwickelt sich der Gedanke, dass jeder an dieser künstlerischen Idee auch teilnehmen kann. Das entspricht der Grundidee des demokratischen Gleichheitsprinzips, die auch Bildungsinstitutionen wie Museen zugrunde liegt. Der Titel der Installation, Hölderlins subversives Kunstwort „Pallaksch, Pallaksch!“ steht dabei für dessen Prinzip des Offenen. Denn es konnte „ja“ genauso wie „nein“ bedeuten. Hölderlin experimentierte, rhythmisierte, brach Regeln und Syntax, ging neue Wege, bis an die Grenzen des Sagbaren und darüber hinaus. Er vereinte Gegensätze, brachte Ambivalenz zusammen und auf den Punkt: „traurigfroh“, „heilignüchtern“ – wer das einmal gehört hat, vergisst es nie wieder, ob man seine Gedichte nun mag oder nicht. Es wird aber bewusst keine bestimmte Tendenz als Denkform vorgegeben. Als dreidimensionale Skulptur entwickelt das Werk eine direkte Nähe und Präsenz. Aufgrund der relativen Neutralität wird die Figur zu einer Projektionsfläche, in die Menschen ihre eigenen Gedanken hineinprojizieren können ohne, dass „Hörl“ sozusagen dazwischen steht“, betont Ottmar Hörl.

Blickt also der als sitzend dargestellte Hölderlin nun melancholisch in die Ferne, oder doch eher nachdenklich in sich selbst hinein? Welches Buch hält er so fest umschlungen an Brust und Herz gedrückt, als wolle er es unbedingt beschützen? Ein Exemplar seines Vorbildes Schiller? Könnte damit auch die Sprachkunst an sich gemeint sein? Vielleicht auch ein Verweis auf den zunehmenden Sprachverlust, den Hölderlin laut Professor Johann Kreuzer schon damals beobachtet hat? Die Haltung lässt außerdem auch an das Rätselhafte denken, das Hölderlin umgibt. – All das, und was uns sonst noch in den Sinn kommen mag, liegt an uns, unserer individuellen Struktur, unserer Phantasie und Offenheit. Denn wie Hölderlin lässt auch Hörl „alles offen und schließt alles ein … verdichtet Situationen, bis sie zu strahlen beginnen“, wie es Manfred Schneckenburger, der ehemalige Documenta-Leiter, formulierte. Der Blick auf Hörls Hölderlin wirft uns nicht nur auf uns selbst zurück, sondern bringt uns weiter und mit anderen ins Gespräch. Zugleich lässt er erahnen, wie existenziell das Leben eines Künstlers sein kann, der in keine Schublade passt, aufs Ganze geht, Dichtung revolutioniert hat und bis heute Menschen bewegt. Nicht zuletzt wird damit auch die Frage aufgeworfen, wie wir als Gesellschaft mit Kultur und miteinander umgehen.

Eva Schickler M.A., Kunsthistorikerin