Hölderlin
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Hölderlin

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Hölderlin

Hölderlin hat bedeutende und unvergängliche, aber eben, wie ich als einfacher Leser zugeben muss, oft auch schwer verständliche Texte geschrieben. Und wir fragen uns heute, wie wir noch einen Zugang haben können zu der Welt, in der Hölderlin lebte. Ein Vierteljahrtausend trennt uns von seinem Geburtsdatum – unsere Welt ist so vollkommen anders, dass es einen einfachen Zugang wohl gar nicht geben kann. Und vielleicht ist das auch genau richtig und gut so.

Sich auf die Fremdheit dieser vergangenen Zeit einzulassen, das ist vielleicht gerade die beste Möglichkeit, uns selber infrage zu stellen. Wer begriffen hat, dass es einmal ganz anders war, der gewinnt die Erkenntnis, dass auch in der Gegenwart alles, oder mindestens vieles ganz anders sein könnte. Der erkennt, dass es Möglichkeiten des Lebens, des Empfindens, des Sprechens gibt, die über das hinausgehen, was wir gewöhnlich für selbstverständlich hinnehmen.

„Komm! ins Offene, Freund!“ diese herausfordernde Zeile gilt für eine Beschäftigung mit ihm und seinem Werk vielleicht mehr als für andere Dichter deutscher Sprache. „Komm! ins Offene, Freund!“

Ins Offene gehen, in eine neue, ungeahnte Möglichkeit gehen. Sich trauen, auch Fremdes oder fremd Klingendes an sich heranzulassen. Das ist vielleicht die lohnendste Art, sich mit großer Dichtung auseinanderzusetzen: dass wir uns dieser Dichtung

aussetzen, dass wir uns öffnen lassen, dass wir uns befragen und infrage stellen lassen. „Ein Zeichen sind wir, deutungslos“ hat er in einem Fragment geschrieben. Uns selber deuten zu lernen, darum geht es bei der Begegnung mit Literatur, bei der Begegnung mit Hölderlin.

 

Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsident

Auszug aus der Rede des Bundespräsidenten zur digitalen Eröffnung der Aus-
stellung „Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie“ am 23. Mai 2020 im
Deutschen Literaturarchiv Marbach (www.bundespräsident.de)